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Berichte aus Israel

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18.10.2018: „Die Friedenstaube hat noch einen weiten Flug vor sich“

Als hätte er meinen letzten Beitrag schon gelesen, verabschiedete sich unser Tourguide heute von uns mit dem Wunsch „Schalom – Salaam – Peace …. denn das brauchen alle Menschen!“ Und dann ging er durch den Bus und schenkte jeder und jedem von uns diese Friedenstaube aus Olivenholz.

(Dass er selber in Familienbesitz auch eine Olivenplantage betreibt incl. eigener Pressung, müsste an anderer Stelle mal erzählt werden). „Nein, das Holz für die Schnitzarbeiten stammt nicht von meinen Olivenbäumen, aber es könnte doch fast so sein“, meint Mofid und verbreitet wieder sein unwiderstehliches Lächeln.

Also auch von einem nicht besonders religiösen Fremdenführer der Wunsch nach „Schalom“, die Erinnerung an die Menschen, denen wir begegnet sind, und ihre Sehnsucht nach „Peace“.

Und jetzt fliegt diese Friedenstaube mit uns nach Hause. Was nehmen wir mit? Wie sortieren wir unsere viel zu vielen Fotos und die noch viel zahlreicheren Eindrücke und Empfindungen?

„Behaltet uns im Gedächtnis und denkt an uns“, „Betet für uns“, „Kommt uns wieder besuchen“, das sind so letzte Worte, die uns bei Abschieden mitgegeben wurden. Manchmal steckte zwischen den Zeilen auch die kleine Botschaft: „Und denkt nicht nur an uns, sondern helft uns auch, z.B. auch mit finanzieller Unterstützung“.

So manches sehr gute Projekt in Palästina/Israel kämpft tatsächlich Monat für Monat um ausreichende Finanzierung; auch diese Information nehmen wir mit nach Hause und werden sie in geeigneter Weise verbreiten (die Projekte „Lifegate“ oder auch „Parents Circle“ verdienen ohne jeden Zweifel auch finanzielle Förderung/Unterstützung).

Schon während des Rückflugs werden wir uns wohl von den hier gesammelten Eindrücken ein bisschen entfernen, unser Alltag wird näher rücken; manches auch an dringenden Bitten wird verblassen … oder auch vergessen.

Aber die Friedenstaube von Mofid wird uns vermutlich hier und da doch erinnern und uns zuflüstern: Denk an Deine Zusage: Für die Menschen zu beten! Dich weiter zu informieren, was dort geschieht – und zwar aus allen Blickwinkeln! Und erweise Dich solidarisch mit Deinem Denken, Wahrnehmen und in Deinem Handeln.

Und wie es der eine Vertreter von Parents Circle sagte: Wir wollen nicht, dass Ihr pro-palästinensisch werdet oder pro-israelisch. Wir möchten mit Euch zusammen „pro Peace“ sein und lernen, so zu leben und zu wirken.

So flieg denn, Friedenstaube, begleite uns auch in unserem Alltag zurück und erinnere uns daran, dass wir alle im normalen Leben viel für den Schalom tun können (wenn wir es denn tatsächlich auch wollen und tun!).

Wenn ich das nächste Mal eine Taube fliegen sehe (Farbe egal) werde ich an die Friedenstaube aus Olivenholz von Mofid denken und das meine dazu tun, dass ihre Botschaft zu allen Menschen getragen wird. Flieg weiter Taube mit Deinem Schalom!

17.10.2018: Schalom – Salaam – Peace

 „Schalom“ ruft mir die Frau auf dem Fahrrad zu, der ich in der Wohnanlage begegne; mit „Salaam“ begrüßen mich die Mitglieder der Palästinenser-Familie, in der wir zu Gast waren. „Go in Peace!“ steht auf großen Tafeln an der Ausfahrt der Touristenparkplätze.

Ich habe wohl noch nie so oft das Wort „Schalom/Salaam/Peace“ gehört, wohl noch nie so viele gemalte Friedenstauben mit dem Ölzweig im Schnabel gesehen … und tatsächlich noch nie so viel Sehnsucht und Hoffnung auf wirklichen Frieden bei den Menschen gespürt, wie auf dieser Reise. Und zugleich ist da so viel Rat- und Hilflosigkeit, wie das denn nun verwirklicht werden könnte: „Schalom“.

Dabei umfasst das Wort „Schalom“ so vielmehr als unser deutsches Wort Frieden; in Schalom steckt Gerechtigkeit und gerechte Teilhabe an den Gaben des Lebens; Schalom schließt auch ein ein gutes Verhältnis zu unserer Mit-Welt, in und mit und von der wir leben; Schalom umfasst auch, mit sich selber stimmig und im Reinen zu sein; Schalom meint auch eine lebendige Verbindung mit Gott.

Und all das wünschen Menschen einander mit dem alltägliche gebrauchten Gruß „Schalom“, all das klingt mit, wenn Menschen einander „Salaam“ zurufen, am Morgen, am Mittag und am Abend. Und an was denken die Autofahrer beim Passieren dieses „Go in Peace“?

Auf der einen Seite also alltäglich präsent der Gruß, der Wunsch, die Sehnsucht „Salaam/Peace/Schalom“. Auf der anderen Seite – auch das gehört zu unseren täglichen Erfahrungen hier – direkt vor Augen: Auch junge Menschen, manche in Zivilkleidung, mit Maschinengewehren. Selbst bei unserem Abendessen oder beim Frühstück sind wir also geschützt. Dazu auch an Sehenswürdigkeiten, besonderen Plätzen, allgemein in der Öffentlichkeit: Es gehört offenbar dazu, das junge Soldatinnen und Soldaten ihre Waffe ständig mit sich tragen; das finden hier – zumindest unter der israelischen Bevölkerung - offensichtlich alle ganz normal und richtig.

Ich habe nicht fragen können, wie das unsere palästinensischen Gastgeber empfinden; wie das wirkt auf die nicht ganz kleine Gruppe der Bevölkerung Israels, die einen anderen Weg des Zusammenlebens vor Augen und im Herzen haben.

Braucht es einen „Pax Romana“, für den Sicherheit und Kontrolle an erster Stelle steht? Der Grenzen und Abgrenzungen und genau definierte zugestandene oder eben nicht genehmigte Rechte festlegt? Der den einen ganz viel oder sogar alles sichert – und die anderen müssen sich mit dem bescheiden, was übrig bleibt? Wäre das – wenigstens ein bisschen – Frieden?

Aus diesem Land Israel stammt auch die prophetische Vision, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden; zu dieser Friedensvision gehört auch die Hoffnung: „Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Was für eine gewaltige Umgestaltungskraft für das Leben aller steckt in den prophetischen Verheißungen! Und wie Galaxien-weit sind wir davon entfernt, auch und erst recht hier in Israel/Palästina?

Wie das alles gehen soll, wie das alles werden könnte, was als erster Schritt zu tun ist, welche Kräfte gebraucht würden … ich weiß es nicht; es bräuchte viele Menschen dafür auf allen Seiten.

Beim Besuch heute an dem Ramon-Krater, einer besonderen, vielleicht sogar einzigartigen geologischen Formation, werden wir auch informiert über den bisher einzigen israelischen Astronauten Ilan Ramon. Der war ein hochprofessionell ausgebildeter Kampfpilot der israelischen Luftwaffe und wurde zum Astronauten weitergebildet. Im Januar 2003 wurde sein Traum wahr, zusammen mit sechs weiteren startete er in den Weltraum. Von dort sah er unsere „Mutter Erde“ - und von dort oben sah er keine Grenzen! Und formulierte dann in etwa: „Welche Ziel verfolgen wir? Dass jeder und jeder das eigene Leben leben kann, seine Kinder groß werden sieht, Freude erleben kann – und dass wir im Frieden miteinander leben.“ Und er schließt seine Gedanken vom Weltraum aus mit der Frage: „Ob wir diesen Punkt jemals erreichen werden?“

In seinen hebräisch Formulierungen taucht wieder dieses Wort SCHALOM auf … eine Hoffnung, die offenbar alle Menschen bewegt. Wäre doch eine wunderbare Sache, wenn wir uns gemeinsam, zusammen, miteinander auf den Weg machten zum Schalom – und ich vertraue schlichtweg darauf, dass Gott da mit uns unterwegs wäre.

16.10.2018: 1.200 Höhenmeter in 30 Minuten …

auch so könnte man die Fahrt von Jerusalem nach Jericho beschreiben. Im biblischen Sinne denkt man sofort an den barmherzigen Samariter, der den unter die Räuber Gefallenen nicht nur als Opfer von Gewalt wahrnimmt, sondern sich um ihn kümmert und ihn versorgt.

Heutzutage sind die Straßen sehr gut ausgebaut. Naja, man hat auch Checkpoints zu passieren – aber da tut man uns Touristen nichts, sondern winkt uns durch.

In 30 Minuten also lassen wir das wuselige, auch politisch und religiös aufgeladene Jerusalem mit seinem pulsierenden und dem sich zugleich gegenseitige lähmenden Alltag hinter uns und steigen hinab bis - 200 m unter Normalnull - Jericho. Diese auch aus der Bibel bekannte Stadt gilt als die älteste Stadt der Welt überhaupt. In ihren Ausgrabungsstätten finden sich 33 Schichten - und die unterste liegt über 10.000 Jahre in der Vergangenheit. Hier in Israel kann man nicht nur in 30 Minuten mehr als 1.000 Höhenmeter in die eine oder andere Richtung bewältigen, man kann an einem Vormittag auch durch etliche Jahrhunderte (im wahrsten Sinne) steigen oder klettern und hat zum Beispiel Essgeschirr von vor 2.000 Jahren direkt vor Augen – und dann holt man sich zum Mittagsimbiss eine gekühlte Getränkedose und bekommt seine Falafel mit Humus und Salat auf einem Plastikteller serviert. Das geht hier in Palästina/Israel alles innerhalb weniger Meter und Minuten.

So sind wir irgendwie auch Zeit-Reisende. Und zudem auch noch Reisende zwischen Menschen, die ganz unterschiedlich Anteil haben an dem, was dieses Land an Lebensmöglichkeiten eröffnet.

Aus welcher Perspektive schaue ich also auf das, was ich hier erlebe und wahrnehme? Bin ich mir im Klaren darüber, dass ich mal meine Lesebrille aufsetze, um vielleicht das Kleingedruckte zu lesen – und dann wieder die Sonnenbrille nehme, um nicht geblendet zu werden?

Ja, wir sind als Reisegruppe unterwegs auch mit unserem christlichen Glauben. Andachten und Gottesdienste gehören für uns dazu. Unsere Navigationsinstrumente sind auf das Kreuz ausgerichtet. Und in gewisser Weise ist unser Wahrnehmungsrahmen durch das Kreuz bestimmt.

Andere haben andere Wahrnehmungsrahmen – durch Kultur, Erziehung und auch durch ihren Glauben geformt.

Wir kommen mit einer muslimischen Frau und einem jüdischen Mann ins Gespräch; normalerweise trennen diese beiden Gruppen mehr als das Tausendfache der Höhenmeter zwischen Jerusalem und Jericho. Aber sie haben sich entschieden, sich auf halbem Weg zu treffen und auf die Geschichte des anderen zu hören, die Brille vor der eigenen Weltwahrnehmung abzunehmen und einander als „einfach ein Mensch“ wahrzunehmen und zu respektieren.

Die Höhe der unterschiedlichen Höhenlagen, die Tiefe der Zeitschiene in die Vergangenheit – das bekommen wir ganz gut hin; woran wir uns immer wieder üben sollten, ist die Vertikale der Beziehungen zu den Menschen neben uns im Hier und Jetzt. Bei der Mittagsandacht auf dem Tel Jericho haben wir miteinander gesungen: „Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen … ich möchte nicht zum Mond gelangen, jedoch zu meines Feindes Tür“. Gott segne und ermutige uns, und notfalls stoße Gott uns an, dass wir uns auf diesen Weg machen.

15.10.2018: Die Mauer...

ist zumindest für die über 25/30 Jahre alten Deutschen ein fester Begriff: Die Grenze und Trennung zwischen West und Ost in Deutschland … bis sie im Jahr 1898 Risse bekam und schließlich abgetragen wurde,

„Die Mauer“ (Foto oben) ist im heutigen Israel/Palästina eine nicht zu übersehende Trennmauer zwischen zwei Bevölkerungen; eine nicht nur anfassbare, sondern auch unüberwindbare Grenze. Und das gilt nicht allein im Sinne von physischer Trennung – diese Mauer verläuft auch durch Köpfe und Herzen.

Ich konnte nicht nachmessen, wie viele Meter hoch diese Betonwände sind; wenn man daneben steht, ist man ganz klein.

Diese Trennungsanlage dient der Sicherheit der israelischen Bevölkerung, damit wird ihr Aufbau immer wieder begründet. Es mag manches oder sogar vieles dran an an dieser Sichtweise.

Zugleich aber verläuft diese Grenze nicht an der tatsächlichen Grenze zwischen den beiden Siedlungsgebieten – also zwischen Palästina und Israel; vielmehr macht die Mauer hier einen Schlenker, wenn es um eine religiöse Gedenkstätte geht, und verspringt dort gegenüber der ausgehandelten Grenzziehung, wenn es um Wasserquellen oder dergleichen geht. „Our situation ist very complicated and it's not easy to understand all this“, hören wir immer wieder. (übersetzt: "Unsere Situation ist kompliziert und es ist nicht einfach, all dieses zu verstehen")

Ja, aber irgendwie geht es doch um die Menschen auf beiden Seiten, es geht um ihre Lebensmöglichkeiten, um alte Traditionen und Besitzverhältnisse. Was bedeutet es für eine palästinensische Familie, wenn sie von ihrem aus Familienbesitz stammenden Olivenhainen durch die Mauer getrennt werden? Und was bewirkt es, wenn die einen, zumeist zu Fuß, als Arbeitskräfte zwar nach Israel einreisen können, dafür aber am Checkpoint auch scharfe Kontrollen durchgeführt werden. Oder wenn es in Jerusalems Kliniken eine notwendige Behandlungen nicht erfolgen kann, weil das „permit“, der Erlaubnisschein nicht ausgestellt wurde?

Familien hier in Beit Jala und Bethlehem können mit ihren Kindern nicht mal eben ans Meer fahren, wie für uns ein normaler Sonntagsausflug im Sommer an Nord- oder Ostsee; sie haben keinen „permit“ … und werden ihn auch nicht bekommen.

„Diese Mauer und die Grenzkontrollen und die Belästigungen und Zurückweisungen dort bestimmen unser Leben und Denken und beeinträchtigen unser Empfinden, als gleichberechtigte Menschen respektiert zu werden,“ auch das haben wir mehr als ein Mal gehört.

Die ganze Entwicklung bis zu dieser Mauer und Grenzziehung, die alltäglichen Erfahrungen und Erniedrigungen vor allem auf der östlichen Seite müssten ein anderes Mal mit guten Informationen nach gründlichen Recherchen erzählt werden. Aber: dass eine solche hohe, überdeutliche Trennung zwischen Menschen nicht gut sein kann, egal auf welcher Seite man lebt, das ist mir schon deutlich geworden – heute an der Mauer, ausgerechnet in Bethlehem.

Wie gut und heilsam war dagegen der Besuch bei „Lifegate“ (Foto unten): Seit ca. 30 Jahren kümmern sich Fachkräfte um Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Behinderungen – und das hier im Palästinensergebiet Beit Jala – Beit Sahour – Bethlehem. Die Familien sind oft überfordert, ihren behinderten Kindern eine angemessene Förderung zu geben, von staatlicher Seite gibt es so gut wie keine Unterstützung. Deshalb gibt es Lifegate – entstanden aus der Initiative und bis heute wirkender Beharrlichkeit und Kompetenz von Engagierten aus Deutschland. Ich werde davon noch erzählen. Mit Blick auf „die Mauer“ - in realiter und in Köpfen und Herzen – aber ermutigt mich der Ausgangspunkt dieser Organisation: „Wir möchte unsere Türen weit öffnen für Familien mit behinderten Kinder, damit diese die bestmögliche Förderung bekommen und ihre Möglichkeiten zum Leben bei uns und mit uns entwickeln. Und wir freuen uns, wenn dann ein Menschenkind mit Einschränkungen bei uns aus der Tür auch wieder hinausgeht und seinen Weg ins Leben selbstbewusst gehen kann.“

Zur Zeit sind die Übergänge an „der Mauer“ vor allem Kontrollpunkte, ggf. Zurückweisungs-Orte und die Toren stehen längst nicht allen offen. Eine bittere Realität. Wie gut wäre es, wenn die Mauer immer mehr Öffnungen bekäme, Menschen einander begegneten … und zusammen danach fragten und dafür arbeiteten, dass Leben für alle im Guten gelingt.

Ach ja, ich bin und bleibe wohl immer ein Träumer.

14.10.2018: Am Sonntag in Beit Jala / Palästina …

werden wir gegen 5 Uhr morgens von dem Muezzin-Ruf der nicht einmal 100 m von unserer Unterkunft gelegenen Moschee geweckt. Das ist hier so – und niemand regt sich darüber auf. Überall im Land hören wir je nach Tages- bzw. Gebetszeit diese über große Lautsprecher übertragenen Rufe zum Gebet.

Und dann erklingen hier im palästinenischen Beit Jala, direkt neben Bethlehem gelegen, von verschiedenen Kirchentürmen zu „normaler“ Zeit die Kirchenglocken – als Einladung zum Gottesdienst in der katholischen oder der orthodoxen oder eben auch der lutherischen Gemeinde.

Wir nehmen teil an dem Gottesdienst der evangelisch-lutherischen Christen hier in Palästina, es gibt ein paar weitere lutherische Gemeinden mehr hier in Palästina, in Jordanien, im Heiligen Land. Dieser Kirche gehören weniger als 50.000 Mitglieder an; und es ist nicht leicht, die Pastorenstellen zu besetzen. In Beit Jala ist seit kurzem ein junger Pastor eingesetzt, der auch für eine weitere Gemeinde zuständig ist. Meistens schafft er es, an den Sonntag Vormittagen die Gottesdienste zeitlich aufeinander abzustimmen, aber heute wird in Beit Sahour Erntedank gefeiert.

Kein Problem, dann übernehmen eben Laien aus der Gemeindeleitung den Gottesdienst, einschließlich Predigt. Zusammen mit Pröpstin Johanna Lenz-Aude aber darf ich das Abendmahl einsetzen; ein entsprechendes liturgische Gewand kann ich mir in der Sakristei aussuchen. (Dazu auch das Foto zum Beweis, dass ich nicht vom heimischen Sofa aus schreibe :-) ) Die Melodien der Lieder haben oft etwas zu Herzen gehendes, und auch, wenn nicht allzu viele Gemeindeglieder teilnehmen, ist der Gesang und das Mitsprechen beachtenswert,

Übrigens können auch nicht alle Gemeindeglieder zum Gottesdienst kommen, da der Sonntag für die allermeisten ganz normaler Arbeitstag ist; am jüdischen Schabbat können die Geschäfte und Arbeitsstätten anderer Religionszugehöriger ja auch geöffnet sein.

Manche christlichen Palästinenserfamilien aber schaffen es und machen es für sich möglich, am Sonntag als Familie zusammen zu kommen, zusammen zu essen und den Tag miteinander zu verbringen. Und wir werden, zu zweit oder dritt, in solche Familien eingeladen. Das ist für uns wie ein kleines Eintauchen in deren Alltag und Leben. Die Gastfreundschaft ist herzlich! Und die Bereitschaft zu offenen Gesprächen zumeist auch. Was bedeutet hinter der Mauer zu leben, der meterhohen Abtrennung, die von Israel zu ihrem eigenen Schutz, wie sie sagen, aufgerichtet wurde, den Restriktionen bei den Einreisebedingungen, die Benachteiligungen im Sozial-Versicherungssystem und, und und. Manche Gastgeber sprechen sehr offen von ihrer wirklich nicht einfachen Lebenssituation und von den besonderen Herausforderungen; aber auch von ihrem festen Entschluss, genau an ihrem Palästina bleiben, arbeiten, leben zu wollen. (Zu der Situation der Palästinenser, erst recht der palästinensischen Christen müsste ich einen eigenen Beitrag schreiben – und egal wie lang der geriete, ich könnte gar nicht alle Dimensionen dieser Situation erfassen).

Gestern hatte uns der 50%-Pastor gesagt: „Guckt auf Eure Schuhe, Eure Smartphones, Eure T-Shirt – die haben alle den Hinweis: Made in China / Taiwan / Bangladesh oder … Wir als palästinensische Christen gründen uns in allem, auch in dem schwer Auszuhaltenden auf unsere christliche Hoffnung – und diese Hoffnung ist 'Made in Heaven'. Darum geben wir nicht auf und halten aus und bitten Euch um Eure Fürbitte für uns und um Eure Solidarität.“ (davon werde ich demnächst berichten).

Ach ja, zum Schluss: Als wir nach diesen offenen,anregenden, herausfordernden Begegnungen und Gesprächen zurück ins Hotel kommen, ertönt der Muezzin-Ruf zum frühen Abend-Gebet. Ich denke: Die Lautstärke macht es nicht – sondern die von uns erbetene und für uns durchaus mögliche erst mal Fürbitte und tätige Verbundenheit mit unseren Schwestern und Brüdern im christlichen Glauben in Beit Jala / Palästina.

13.10.2018: Das Leben ist schön ...

und so vieles hier ist Grund zur Freude. Denn auch im Oktober überraschen uns Büsche und Bäume mit einem Reichtum an Blüten und Farben, mit einer Fülle von Früchten. Und auf den Märkten finden sich dann Orangen, Bananen, Granatäpfel und vieles mehr; ganz zu schweigen von den farbenfrohes, wohlriechenden und reich gefüllten Gewürzständen (wenn ich könnte, würde ich die Geruchsimpressionen einfangen und weiterreichen – versetzen Sie sich einfach mal gedanklich in einen orientalischen Basar)

Irgendwie kann man es selber spüren, dass Menschen in längst vergangenen Zeiten diese Region wie einen reichen, schönen Garten empfunden haben: „Du, unser Gott, wie sind Deine Schöpfungen so viele und so herrlich!“

Und die Vielfalt der Blüten und Früchte setzt sich fort in der Vielfalt der Menschen mit jeweils ihren Prägungen und Traditionen. Nein, ein Schmelztiegel der Kulturen ist es hier nicht; aber zum Beispiel in den Straßen der Altstadt von Jerusalem immerhin ein Nebeneinander.

Ich möchte mich einfach nur bei einem arabischen Kaffee hinsetzen und zuschauen, Menschen wahrnehmen, die verschiedenen Gesichter anschauen, die unterschiedlichen Sprachen hören, Kleidung und Kopfbedeckungen und so weiter begucken. Ich meine es nicht despektierlich: Das geht ein christlicher Geistlicher mit seinem langen schwarzen Mantel und einer Kopfbedeckung, ihm entgegen kommt eine muslimische Frau mit langem Mantelkleid und Kopftuch, orthodoxe Juden in schwarzem Anzug und mit ihren breiten Hüten, daneben Araber mit langem Gewand und „Palästinensertuch“. Wie auf einem Catwalk kommen mir hier fast alle denkbaren Kombinationen und Gestaltungsformen entgegen. Wie schön und gut, dass wir Menschen verschieden sind, dass wir unterschiedlich geprägt sind. Nicht nur die Natur um uns hat viele Gestalten, Farben und Formen – auch Gottes Menschenfamilie hat viele Farben.

Und immer wieder hört man ein Lachen oder auch ein lautstarkes Gespräch, nimmt ein ernsthaftes Debattieren wahr oder heiteres Miteinander. Diese Vielfalt wahrzunehmen tut einfach gut - „wie sind Deine Schöpfungen viel zahlreich und herrlich.“

All das lässt sich in Fotos gar nicht einfangen …

Und am Freitag beim Sonnenuntergang begrüßen viele Juden an der Klagemauer in Jerusalem den Schabbat: Schabbat Schalom! Und vor der alten Mauer des früheren Tempels singen und tanzen sie und freuen sich an Gottes guter Gabe des Feiertages: Gott hat alles wohl gemacht und auch weise geordnet und uns den Feiertag gegeben, dass wir uns ausruhen und uns des Lebens erfreuen – wie schön ist das Leben, zumal hier im Heiligen Land.

13.10.2018: Das Leben ist erschreckend – und erschreckend war und ist es, was Menschen einander antun

Zum Pflichtprogramm gehört der Besuch in der nationalen Gedenkstätte Yad Vashem (Foto: Eisenbahnwaggon in der Gedenkstätte) nicht; man kann Israel auch einfach so genießen, sich an Natur, wohltuenden Temperaturen und am Badeurlaub erfreuen. Aber dazu sind wir nicht hier.

Darum gehörten heute die Fahrt und die verschiedenen Wege durch die eindrucksvolle Gedenkstätte zu unserem Programm dazu! In der Gedenkstätte wird an die Geschichte der Verfolgung und Ermordung von 6 Millionen Juden in den 1930-er und 1940-er Jahren erinnert. Zum Beispiel daran, dass Menschen jüdischen Glaubens in solchen Viehwaggons abtransportiert wurden.

An einer anderen Stellen flackert nur eine einzige Kerzen; da ihr Leuchten aber durch eine Vielzahl von kleinen Spiegeln reflektiert wird, entsteht in dem sehr dunklen Raum ein berührende Atmosphäre. Dazu werden Namen vorgelesen und das Alter genannt: So bleiben die Namen von 1,5 Millionen jüdischen Kindern nicht dem Vergessen anheimgegeben, sondern werden bewahrt, erinnert. 1,5 Millionen Kinder sind durch die nationalsozialistische Terrorherrschaft um Leben und Zukunft gebracht worden.

Und in der zentralen Gedenkstätte, die auch von Staatschefs immer zum Niederlegen von Kränzen aufgesucht wird, verdeutlichen die 6 Millionen kleinen Granit-Mosaiksteine an die 6 Millionen zu Tode gebrachten, getöteten und ermordeten Menschen jüdischen Glaubens.

Ich müsste noch so viel mehr erzählen von dieser beeindruckend gestalteten und in ihrer Weise berührenden Gedenkstätte. Da ist es gut, dass das Gelände weitläufig ist, das man oder frau sich mal auf eine Bank setzen kann, um mit sich, den Informationen und vor allem den eigenen Emotionen eine Zeit lang allein zu sein.

Schrecklich, was Menschen erleben, erleiden mussten – mehr als schrecklich, dass alles dieses ihnen von anderen Menschen angetan wurde, weil sie sich für besser hielten.

Und dann fahren wir weiter – und haben schöne gehört, wie es Volks- und Religionsgruppen anderer Ausrichtung in Israel ergeht, und haben vor uns die Begegnung jenseits der großen Mauer, die in Israel die einen von den anderen abtrennt, die Begegnung mit palästinensischen Christen.

Als wir die Gedenkstätte für die ermordeten Kinder verließen, brauchten wir als Gruppe erst mal einen Moment der Ruhe, da hat keiner die andere angeschaut, da war jeder und jede auf sich allein geworfen, drehte sich ab, um auch die eigenen Tränen zu verbergen.

Schrecklich, was Menschen einander antun – und die Opfer dieses schrecklichen Handelns sollen nicht zusätzlich noch im Nichts des Vergessens verschwinden müssen. Wenigstens das können wir tun: erinnern – und uns dafür einsetzen, dass so etwas nie wieder geschieht.

12.10.2018: Christen im Nahen Osten?!

Die Ausstellung, für die das Plakat wirbt, hätte ich mir gerne angeschaut – und zwar gerade hier in Jerusalem! Denn: Wer denkt schon an Christen hier im Heiligen Land, im Nahen Osten oder im gesamten Orient?

Ja, ganz klar: ins Heilige Land reisen tausende von christlichen Pilgergruppe aus der ganzen Welt; seit jüngstem auch offenbar recht christliche Gruppe sogar aus China. Aber sonst? Leben, wohnen, arbeiten hier tatsächlich auch Christen?

„2.000 Jahre Geschichte“ steht weiter unter auf dem Plakat – das habe ich mir noch nie wirklich bewusst gemacht.

Und dann besuchen wir die syrisch-orthodoxe Gemeinde, werden vom Gemeindevorsteher, dem Mukthar begrüßt. Und weil die Zeit bis zur Wochenandacht noch ausreicht, führt er uns in das Kellergeschoss. Nicht nur aufgrund von eigenen Überlieferungen – Erzählungen und angeblich ganz sichere Traditionen gibt es so viele, wie die Stadtmauer Steine hat -, sondern auch von handfesten Fundstücken, beschrifteten Steinen … kurz und gut: Es ist gar nicht mal ganz ausgeschlossen, dass in dem Kellergeschoss unter der syrisch-orthodoxen Kirche genau der Raum zu finden ist, in dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert hat. Das wäre dann knapp 2.000 Jahre her. Und diese christliche Gemeinde würden auch uns mit den Anfängen des Christentums verbinden.

Aber das spielt im Alltag der alt-orientalischen Christen hier keine Rolle mehr. Ihre Lebensmöglichkeiten werden eingeschränkt; die Orte, in denen sie seit Jahrhunderten leben und wohnen, werden durch Mauern und Checkpoints fast abgeriegelt. Kein Wunder, dass immer mehr Familien ihre Zukunft im Ausland suchen.

Und dann gibt es ja auch die palästinensischen Christen – zumeist aus der protestantischen Kirchenfamilie. Auch sie haben wir in der Regel nicht auf dem Schirm, wie man so sagt, wenn wir über den Nahen Osten sprechen.

Also hier mal deutlich ausgesprochen: Ja, es gibt sie – die orientalischen Christen, Christen im Nahen Osten und auch im Heiligen Land. Und sie leben seit Jahrhunderten hier und haben sich Existenzen aufgebaut, haben ihr Leben gemanagt und ihren Beitrag zur Entwicklung der Region geleistet.

Was hat eigentlich dazu geführt, dass wir Christen unsere Schwestern und Brüder in Israel, Palästina und vielen weiteren Ländern so sehr aus unserem Bewusstsein raus halten?

11.10.2018: Du brauchst Tourguides, Erklärer und andere, die mitgehen

Beim ersten Weg zu einem Treffen in der Altstadt von Jerusalem mussten selbst die, die schon mehrfach hier gewesen sind, sehr darauf achten, unserem Reiseführer nicht aus den Augen zu verlieren. Man kann sich schnell verheddern und verlaufen, wenn man sich nicht auskennt oder wenigstens einen guten Plan hat.

Darum ist es nicht nur für die Wege und Strecken in den Dörfern, Städten und Weiten Israels gut, dass wir Mofid (Foto) haben; und dazu einen Busfahrer, der uns durch alle Ecken und Staus unerschütterlich fährt.

Und da dieses Land ja nun geradezu strotzt von Historie, Zeitepochen, Geschichte und Geschichten, ist es auch auf diesem Gebiet von Vorteil, Kundige an der Seite zu haben, die die Zeiten der Phönizier von denen der Römer, Kreuzritter oder Osmanen auseinander halten können.

Nur dadurch gelangen wir durch den Tourguide an die richtig interessanten Orte und bekommen dort auch Orientierung im Zurückblicken auf Entwicklungen, Epochen, auf die, die jeweilige Zeit beherrscht und gestaltet haben, und auch auf die, die die großen Gebäude und Städte damals mit ihrer Hände Arbeit und unter Einsatz ihrer ganzen Kraft aufgebaut.

Geschichte hat immer mindestens mehr als eine Seite; auch Orte kann man von der einen Ecken erkunden oder aus einem anderen Blickwinkel anschauen.

Für den Weg von A nach B haben wir unseren Fremdenführer. Beim Einschätzen der Geschichte ist Expertenwissen förderlich. Beim Begreifen und in dem Versuch, gegenwärtige Entwicklungen und unterschiedlichen Perspektiven zu verstehen müssen wir uns schon selber anstrengen. Wie ist das mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern? Welche Wirkungen des jüngst beschlossenen Nationalitäten-Gesetzes auf das alltägliche Leben sind zu spüren für die einen …, aber vergiss dann nicht auch die anderen zu fragen, wie sich das auf ihr Leben auswirkt.

Diese Gespräche, Einschätzungen, solche Nachfragen und Nachhaken gehören im Bus, beim Stadtrundgang, bei den Mahlzeiten oder beim abendlichen Beisammensitzen dazu: Hab ich das richtig verstanden, dass er sagte … ? Oder auch. Da muss ich widersprechen, da habe ich andere Informationen und auch andere Einschätzungen.

Für die durchaus sehr komplexe Situation in und um Israel/Palästina ist es gut Tourguides, Erklärende zu haben, die einen einigermaßen sicher durchführen. Das ändert aber nichts daran, dass wir auch nachfragen, weiteren Menschen zuhören – und uns trauen, aus dem Blickwinkel der Kleineren, der anderen eine eigene Perspektive einzunehmen.

11.10.2018: Lernen für das Miteinander

Es kann der ehrlichste und menschlichste nicht im Frieden leben ….

Ich bin immer aufs Neue erstaunt, wie viele unterschiedliche religiöse Gruppen hier in Israel/Palästina leben: Die Juden, auch in verschiedenen Ausrichtungen; die Muslime, mit unterschiedlichen Prägungen und Zugehörigkeiten, Christen aus ganz verschiedenen Traditionen, dazu Drusen und Baha'i, Nicht-Religiösen – und erst mal ja doch vor allem eins: Menschen.

Ihre jeweilige Geschichte, Prägung durch Erziehung und praktiziertem Glauben, die Art und Weise, wie sie ihren Alltag erleben und gestalten – all das mag ganz unterschiedlich sein. Aber es sind Menschen, die etwas zu trinken und zu essen brauchen, die ein Zuhause haben möchten und auch eine eigene wirtschaftliche Grundlage, die erst mal einfach auch als Menschen respektiert sein wollen, die wohl doch auch im Herzen eine Vorstellung haben, dass ihr Leben mit – oder wenigstens neben – den anderen einigermaßen friedlich sein möchte.

Woher kommt dieser unsägliche und doch so wirksame Spaltpilz, der uns einredet: Wenn jemand anders betet, ist er nicht wie Du und deshalb nicht so gut. Wenn jemand anders spricht, ist er nicht wie Du und deshalb nicht so gut. Wenn eine ganze Gruppe sich anders aufgestellt hat als ihr, ist das nicht gut … und so weiter und so fort. Dann maßt sich jemand die Macht und vergibt Rechte – oder eben nicht; erlaubt Zugang zu gesellschaftlichen Leistungen – oder eben nicht.

Vielleicht habe ich in einer anderen Umgebung ein anderes Gespür für dieses „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ...“; dabei habe ich kein Recht, in dieser Fragestellung Empfehlungen auszusprechen oder Weisungen zu geben. Ich möchte aber lernen für das Miteinander, das ich in meiner Welt mitgestalten kann; und mit dafür arbeiten, dass „ein jeder unter seinen Olivenbaum und Weinstock sitzen kann ohne Furcht“. Man hat doch schon immer mal wieder versucht, die Grundlagen für ein solche Zusammenleben zu beschreiben, zum Beispiel in den schlichten, einfachen Formulierungen der Zehn Gebote (das Foto zeigt eine Tafel der 10 Gebote in einer Synagoge in Safed im Norden Israels) – passen auf die Rückseite jeder Scheckkarte, nur so als Ermutigung zum Miteinander-Leben.

10.10.2018: Das Wasser abgraben

Einem anderen das Wasser abgraben …. sagt man, wenn einem anderen Möglichkeiten und Chancen und gleiches Recht verwehrt werden. Im Norden Israels, vor allem im Gebiet der eroberten und besetzten Golan-Höhen, kommen wir zum einen ins Staunen: Trotz oft anderer Meldungen führen die Quellflüsse des Jordan erkennbar viel Wasser und es strömt schnell an unserem Weg durch den Tel-Dan-Naturpark vorbei. Der Tourguide informiert uns über den Wasserverbrauch des Landes Israel für Landwirtschaft, Industrie, private Haushalte usw. - da stellt der aus dem Jordan und seinen Quellflüssen schon eine erhebliche Menge des jährlichen Bedarfs.

Vor ein paar Jahren noch umfasste das Staatsgebiet Syriens noch die Golanhöhen, Jordanien und Israel hatten als gemeinsame Grenze den Jordanfluss bis zum Toten Meer. Und diese Länder nahmen das natürliche Recht in Anspruch, aus diesen Gebieten ihren Wasserbedarf zu decken. Jetzt aber kontrolliert Israel den Golan bis hin zum Berg Hermon, und aus dem See Genezareth fließt so gut wie kein Wasser mehr – und Menschen auf der syrischen oder jordanischen Seite gehen leer aus.

Hat da etwas jemand anderem das Wasser abgegraben?

In dieser warmen, dazu oft bergigen und kargen Landschaft weiß man um die Wichtigkeit von Wassser zum Leben für Mensch, Tier und Pflanzen. Bereits die Geschichten der Bibel erzählen mehr als einmal von dem Streit um den Zugang zu Quellen und Brunnen.
Und wenn man „oben“ den Zufluss steuert, in der Mitte etwas umleitet, kann weiter unten nichts mehr ankommen. Und wenn dort eben andere Menschen leben und sein wollen?
Wie hat einer der wirklich weitsichtigen Entwicklungsexperten mal gesagt: „Die Kriege des 21. Jahrhunderts werden nicht um Öl geführt werden, sondern um den Zugang zu gutem Wasser.“ Wir haben fröhlich vor sich hin sprudelnde Quellen, Bäche, Wasserläufe erlebt – wäre doch gut, wenn es uns Menschen ebenso fröhlich gelingen kann, diese lebensnotwendige Gabe in der Menschenfamilie geschwisterlich zu teilen.

10.10.2018: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Im Garten vor der alten Kreuzfahrerfestung in Acco stehen vielfach verwurzelte und ineinander verschlungene Ficus benjamini. Die ineinander verschlungenen Wurzeln und Triebe haben mich fasziniert.

Denn wir wurden durch Acco geführt, eine sehr alte Kreuzfahrersiedlung. Die fast 1.000 Jahre alten tief liegenden und unter mehrfachen Stadtverwüstungen lagernden Säle und Räumlichkeiten wurde erst vor ein paar Jahren mühsam freigelegt. Sie berichten von Leben und Wirken der Templer Kreuzfahrer. Haben die sich damals dafür interessiert, wer sonst noch im Land lebte und was denen heilig war?

Wir fahren an Synagogen und Kirchen und Moscheen vorbei hin zu dem Garten der Baha'i; anschließend geht es an Drusendörfern vorbei auf dem Berg Carmel zu der Opferstätte des Elija.

Wieder sind es ganz moderne Ausdrucksformen von Religiosität und daneben die Gedenkmäler an uralte Geschichten des Glaubens.

Vor den Wurzeln und miteinander verwachsenden Trieben des Ficus frage ich mich: Woher kommt es, dass wir die Unterschiede so sehr betonen? Könnten wir auch mal nach gemeinsamen Wurzeln suchen? Und dabei entdecken, wie wir als Menschheitsfamilie miteinander verbunden, ineinander verschlungen und gemeinsam aufgerufen sind, die Zukunft zu gestalten?

Wir werden noch Organisationen treffen, die das Gemeinsame, das die Menschen hier Verbindende hier herausstellen und dafür arbeiten, dass aus der einen Wurzel „Wir sind miteinander Menschen auf dieser einen Erde“ zum Ausgangspunkt für unser Leben und Handeln wird – das zu lernen, dafür ist Israel/Palästina sicher eine besonders geeignete Region.

9.10.2018: Kirchliche Traditionen kommen sich nahe

Wer nach Israel / Palästina reist, kann gar nicht anders, als auf Hinweise zu stoßen, die von Jesu Wirken in dieser Gegend, in jenem Ort, an dieser Stelle verweisen. Und es ist bemerkenswert unterschiedlich, wie die jeweiligen Reisegruppe darauf reagieren: Mit ehrfürchtigem Staunen, mit andächtiger Glückseligkeit, mit aufgeschlagener Bibel und mancherorts auch mit vorangetragenem Kreuz.

Dabei kommen sich kirchliche Traditionen nahe, die sonst über den ganzen Globus getrennt voneinander an ganz anderen Orten ihren Glauben leben: Kirchengruppe aus Russland, pfingstlerische Kreise aus Lateinamerika … und wie überall zunehmend auch Christen aus dem fernen China. Da sind eben norddeutsch geprägte Evangelische eher zurückhaltend und auch weniger euphorisch.

Aber: Wir alle sind in dem Land unterwegs, in dem vor 2.000 Jahren auch Jesus seiner Wege gegangen ist, die Menschen angesprochen, ihnen von Gott und vom Glauben erzählt hat und zu ihrem Leben voran geholfen hat. Ob das alles tatsächlich an genau diesem Ort geschehen ist? Ob es sich so abgespielt hat, wie es die Evangelien in je ihrer Weise erzählen? Ob ich die Bibel wortwörtlich nehmen soll oder eher Jesus beim Wort nehme?

Noch haben wir nicht allzu viel gesehen, sind noch nicht allzu vielen Menschen direkt begegnet. Was mir zu denken gibt, was mich in meiner Vorstellung von Jesus und in meinem Glauben an Jesus herausfordert, ist die Vorstellung: Was, wenn Jesus heute hier durch die Dörfer zöge, die Menschen in ihrem Alltag erlebte, von den Aufgaben und Schwierigkeiten heute hörte?

Dieses Heilige Land verbindet beides: Die Erinnerung an eine lange und reiche Geschichte. Und zu dieser Geschichte gehört auch das Leben und Wirken von Jesus. Die Historie und die Geschichte Jesu haben Auswirkungen bis heute – und ich frage: Wie würde Jesus auf unser Heute schauen? Welche Fragen würde er stellen, welche Hinweise geben?

Es geht ja nicht um das Zurückschauen auf den Jesus von damals – es gilt, im Geist Jesu heute zu leben und dabei zu bedenken, dass Jesus im jüdischen Glauben verwurzelt war. Insofern wünsche ich mir, dass unser Leben, Denken, Sprechen, Handeln Hinweise geben auf Jesus, mit dessen Rückenwind wir heute unterwegs sein sollten.

8.10.2018: Angekommen im heiligen Land

Eerte Eindrücke am Gepäckband nach der Landung in Tel Aviv: ins Auge fallen mir v.a. an Hut und Gebetsfäden und Schläfenlocken erkennbare junge jüdische Männer – wer macht seinen eigenen Glauben so offensichtlich erkennbar?
Daneben an Zusammensetzung und Verhalten erkennbare Pilgergruppen – die eine offenbar aus einer östlichen orthodoxer Kirche. Und dann auch jede Menge Normalos … so unterschiedlich, wie Menschen eben sind. Wir sind im Heiligen Land angekommen.

„Seht, wie gut und angenehm ist es, wenn Brüder und Schwestern einträchtig miteinander leben“, heißt es in der hebräischen Bibel, die wir Altes Testament nennen; oder in der hebräischen Sprache: „Hineh ma tov u ma najim …“

Das ist in der Weltrealität offenbar nicht so einfach zu leben, Auch dafür steht der Nahe Osten!

Vor Beginn der Reise habe ich versucht, mich intensiver mit der Geschichte und Entwicklung dieser geschichtsträchtigen Region zu beschäftigen. Die älteste Stadt, nämlich Jericho, ist hier zu finden; die ersten Spuren gezielten Getreideanbaus. „Wo ward Ihr in Norddeutschland und wie habt Ihr gelebt, als sich hier die ersten Stadt- und Landesstaaten bildeten?“, fragt uns unser Tourguide.

Und dann erinnere ich mich an die jüngsten ca.100 Jahre im Heiligen Landes: Wer hat hier alles mitgemischt, wer hat mit wem etwas verhandelt, wer hat wem was zugesagt / versprochen und wie sah und sieht die Realität aus?

Wie schon bei zwei früheren Reisen ins Heilige Land werde ich auf alle meine Fragen nicht unbedingt und sofort Antworten finden. Aber wir werden Gespräche suchen, die jeweiligen Geschichten hören, von kleineren oder größeren Aktivitäten hören, die dem Schalom dienen wollen – und erkunden, wer auf dem Weg zu der Zeit ist, da Schwestern und Brüder einträchtig wenigstens nebeneinander und mit Respektieren des jeweils anderen leben.

Vor unserer ersten findet sich dann dieses ermutigende Zeichen: Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, werden sie das Angesicht der Erde verändern.

Ich bin gespannt auf die Menschen, die in einer aufgeheizten und instabilen Weltregion Schritte zum Schalom versuchen. Ich glaube und hoffe: Es sind mehr, als wir normalerweise in unseren Nachrichten und Zeitungen präsentiert bekommen. Auf sie bin ich neugierig!

Der Autor

Henning Halver hat als Ökumene-Pastor des Kirchenkreises Rendsburg-Eckernförde im Oktober 2018 mit einer Reisegruppe aus dem Kirchenkreis Schleswig-Flensburg Israel/Palästina besucht. Hier schildert er seine Eindrücke und Erlebnisse.

Kirche im Norden