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Eine Stele erinnert an Fritz Niemand

  • Die Stele vor dem Fritz-Niemand-Haus in der Schleswiger Chaussee.
  • Die Inschrift auf dem Sockel der Stele.
  • Fritz Niemand im Video-Interview mit der FernUni Hagen 1994.
  • Das Fritz-Niemand-Haus der Pflege LebensNah liegt in der Schleswiger Chaussee.
  • Fritz Niemand in seinen letzten Lebensjahren in den Räumen der Pflege LebensNah.
  • Das Buch über das Leben von Fritz Niemand trägt den Titel "Sprich nicht darüber".

Rendsburg - „Dieses Vergessen und Verdrängen darf nicht sein und so geht es auch mit der NS-Geschichte. Wir müssen uns dem stellen und ins Antlitz schauen“, diese Worte sprach Fritz Niemand im Jahr 1994. Er selbst, der zwischen 1968 und 1980 beim Kirchenkreis Rendsburg angestellt war, konnte die Zeit nicht vergessen. Fritz Niemand war ein Opfer der Nationalsozialisten. 1936 wurde er, gerade 20 Jahre alt, aufgrund des „Erbgesundheitsgesetzes“ zwangssterilisiert, weil er angeblich schizophren war.

Fritz Niemand, geboren am 16. Dezember 1915 in Kiel, überlebte die Psychiatrie und auch die Heil- und Pflegeanstalt Obrawalde, in die er 1944 deportiert worden war. In ihr wurden in der NS-Zeit reihenweise Patientinnen und Patienten umgebracht, die Angaben schwanken zwischen 7.000 und 13.000. Damit Fritz Niemand und sein Schicksal nicht vergessen werden, hat die Pflege LebensNah bereits vor einigen Jahren ihr Haus an der Schleswiger Chaussee 89 nach ihm benannt. Seit Anfang Dezember erinnert nun vor dem Haus eine Stele an ihn und sorgt mit dafür, dass das Schicksal des Euthanasie-Opfers nicht vergessen wird.

Der Rendsburger war 1936 kurz vor seiner Sterilisation zwangsweise in die Schleswiger Psychiatrie eingewiesen worden, eine Nachbarin hatte den jungen Mann denunziert. Er solle geisteskrank sein. Er selbst beschreibt seinen Zustand in der Rückschau als depressiv und schwermütig. Er war ohne Vater aufgewachsen, dieser starb im Ersten Weltkrieg, und hatte große Schwierigkeiten in der Schule. Die letzten Schuljahre besuche er die Christian-Timm-Schule in Rendsburg, brach danach eine kaufmännische Lehre ab und ging zur Handelsmarine. Aber auch diese Arbeit musste er beenden, wechselte zur Reichsmarine und wurde später als dienstunfähig nach Hause zu seiner Mutter nach Rendsburg entlassen.

Seine Einweisung in die Psychiatrie beschreibt er in einem Video-Interview der FernUniversität Hagen als „Vergewaltigung schlimmster Art“ und „Angriff auf sein Leben“. Viereinhalb Jahre bleibt er in der Anstalt, bis es seiner Mutter gelingt, ihn gegen den Willen der Ärzte aus dem Krankenhaus zu holen – sie hatte von den Morden an psychisch Kranken gehört. „Ich wusste, das ich zum lebensunwerten Leben gehörte“, sagte Niemand später. Er wusste auch durch seine Erfahrungen in der Anstalt, dass viele seiner Leidensgenossen umgebracht wurden. 1943 wurde er erneut eingewiesen, im Folgejahr kam er nach Obrawalde im damals preußischen Posen. Hier wurden die Patientinnen und Patienten bereits kurz nach ihrer Ankunft selektiert. Wer nicht arbeitsfähig war, wurde rasch umgebracht. Fritz Niemand leistete Zwangsarbeit im Innendienst, ihn unterstütze eine Krankenschwester und sorgte mit dafür, dass er am Leben blieb. Aber Fritz Niemand bekam die Tötungen mit. „Alles geht zum Friedhof“, habe ihm ein anderer Insasse gesagt und auch er selbst erlebte immer wieder neue Transporte.

Im Januar 1945, als die Rote Arme näher rückte, gelang ihm die Flucht. Nach dem Krieg war das Leiden aber nicht zu Ende. Die Behörden der Bundesrepublik Deutschland erkannten ihn nicht als NS-Opfer an. Fritz Niemand bekam kaum Entschädigungen und sein Aufenthalt in der Psychiatrie, seine Zwangsarbeit und die Arbeitsunfähigkeit nach dem Krieg wurden nicht für die Rente anerkannt, so dass er nach eigener Aussage etwa 500 DM zu wenig erhielt. Öffentlich sprach er erst nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1981 über sein Schicksal. Sie hatte ihm immer gesagt: „Sprich nicht darüber.“ Nun jedoch hielt er sich nicht mehr daran, berichtete öffentlich über sein Schicksal in und nach der NS-Zeit und stritt für die Anerkennung als Verfolgter des NS-Regimes. Aus dem christlichen Glauben zog der Mitarbeiter des Rendsburger Kirchenamtes seine Kraft. Die Anstellung hatte er nach einer späten erfolgreichen kaufmännischen Ausbildung angetreten. Seine Großmutter führte ihn zur Kirche und zum Glauben. Gottes Herrlichkeit könne ihm niemand nehmen. Davon war Fritz Niemand zutiefst überzeugt.

Die letzten beiden Jahre bis zu seinem Tod 2012 verbrachte er schließlich in der Wohngemeinschaft „Lichtblick“ der Pflege LebensNah im Rendsburger Stadtteil Parksiedlung. Seinen Besitz vererbte er der Einrichtung. „Die Stele soll dazu beitragen, dass sein Schicksal nicht vergessen wird“, sagt Brigitte Voss von der Alzheimer-Beratung der Pflege LebensNah. Geplant sei, im Fritz-Niemand-Haus noch eine Tafel mit der Vita des Namensgebers anzubringen, da viele Angehörige mit diesem nichts anfangen könnten. Die Stele hat der Bildhauer Manfred Sihle-Wissel angefertigt. Sie stellt einen alten griechischen Hirtenstab dar, den sogenannten Taustab, weil er aussieht wie das griechische Tau. Noch heute werden Taustäbe von einigen orthodoxen Bischöfen verwendet. 

(Text: Helge Buttkereit, Fotos: Helge Buttkereit, FernUni Hagen, Archiv Pflege LebensNah)

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