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30 Jahre Partnerschaft

  • Die Gäste aus Haapsalu auf der Festmeile zur Feier der Deutschen Einheit in Kiel am 03.Oktober zusammen mit einigen Rendsburger Gastgebern. Von li. n. re.: Tiit und Lia Salumäe, Günther Brand, Maria Strauss, Ulrike Brand, Kristo Hüdsi, Inge Lebang, Signe Saviir. Darunter das - passende - Motto der schleswig-holsteinischen Bundesrats-Präsidentschaft.
  • Inga Aru (rechts) mit der deutsch-estnischen Gruppe auf der NordArt
  • Die estnisch-deutsche Gruppe im Alten Rathaus von Rendsburg zusammen mit Bürgermeister Pierre Gilgenast und Propst Matthias Krüger
  • Pastor Rainer Karstens (links) führt in die Dauerausstellung "Glaubensspuren" in St. Marien ein.
  • Die Haapsalu-Delegation mit Pastorin Ulrike Brand und den Herren Hans-Hinrich Blunck und Töns Warncke von der Christkirchengemeinde

Anfang Oktober 2019 empfingen die drei Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinden in Rendsburg zum wiederholten Male Gäste aus Haapsalu in Estland. Von den Tagen der Begegnung berichtet Pastor i.R. Henning Halver und blickt auch zurück in die bewegenden Zeiten der Anfänge im Jahr 1989.

 „Unsere Zeit in Gottes Händen“

… Anfang Juni 1989 fand unter diesem Motto in Westberlin der 23. Evangelische Kirchentag statt.

Für die aus Westdeutschland auf den Transitstrecken anreisenden Teilnehmenden gab es den dringenden Hinweis: „Sie benötigen in jedem Fall einen gültigen Reisepass“. Und wer diese Tage nutzte, um auch den Ostteil der Stadt zu besuchen, erinnert sich an das „Eintrittsgeld“ bzw. den Zwangsumtausch (25,00 DM pro Person und Tag).

Der damalige Kirchentagspräsident Helmut Simon: „Nach wie vor kann es … nicht … gehen … um Rückfälle in gesamtdeutsche Träume oder gar um destabilisierende Einwirkungen. Aus dem grenzüberschreitenden Glauben an den einen Gott …  erwächst aber … eine besondere Lerngemeinschaft, bei der man sich gegenseitig befragt, was jeder für sich und was wir gemeinsam im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung tun können und tun müssen.“ Und im Weiteren werden auch die Worte und damit Aufgaben „Verantwortungsgemeinschaft“ und „Hoffnungsgemeinschaft“ betont herausgestellt.

… und das im Juni 1989! Da war für die allermeisten die Zwei-Teilung Europas, mit Auswirkungen rund um den Globus, noch wie in Granit gemeißelt: West und Ost! Mauer und ganz Europa durchteilender Eisernen Vorhang! Spaltung politisch, wirtschaftlich und erst recht militärisch.

Das Motto des 1989-er Kirchentages  in West-Berlin „Unsere Zeit in Gottes Händen“ wirkt da fast ein bisschen fromm-ergeben. Wie viele der ca. 150.000  Dauer-Teilnehmenden haben auch darauf vertraut, dass Gott Welt-Geschichte-verändernd wirkt durch Menschen, die die Verantwortungs- und die Hoffnungsgemeinschaft ernst und wörtlich nehmen?

In dem Abschluss-Gottesdienst hieß es ermutigend: „Lasst euch ermutigen über die Grenze hinweg, lasst euch ermutigen durch das gemeinsame Gottesdienstfeiern so vieler Christenmenschen und sucht Gemeinschaft dort, wo ihr seid. Lasst euch ermutigen durch den Segen Gottes.“

Zunächst einige, dann immer mehr Menschen nahmen Glauben und Hoffnung ernst und entwickelten Mut und Kraft zur Gestaltung von Gesellschaft und Zukunft:
Gute zwei Monate später bildeten zwei Millionen Menschen über 600 km eine die drei baltischen Staaten verbindende Menschenkette der Hoffnung und des Mutes gegen Unfreiheit, Unterdrückung und Fremdherrschaft. Die Friedensgebete und Montagsdemonstrationen in der DDR wurden immer kräftiger. Weitere 2 ½ Monate später öffnete sich die Mauer in Berlin (um nur ganz weniger der so welt-bewegenden und welt-verändernden Ereignisse aus dem Jahr 1989 zu erwähnen).

Anfang Juni 1989 trugen sich Tiit und Lia Salumäe in das Gästebuch der Stadt Rendsburg ein. Das Pastorenehepaar war auf Einladung der Nordelbischen Synode in der Stadt, um Möglichkeiten des Kontakts über Grenzen hinweg auszuloten. Dabei erschien es doch nahezu unmöglich, dass solche Hoffnungen, ja Träume jemals Realität werden könnten. „Es grenzt an ein Wunder, dass schon im Dezember (1989) unsere Delegation (Kommunal- und Kirchenvertreter aus dem estnischen Haapsalu) nach Rendsburg reiste, um dort zwei Partnerschaftsverträge zu unterschreiben“, so Propst Tiit Salumäe in einem rückblickenden Beitrag aus dem Jahr 2009.

So begleitete in diesem Oktober die Erinnerung an die Ende 1989 erfolgte Unterzeichnung der Partnerschaftsverträge immer wieder die Begegnungen zwischen 6 Vertreter*innen der Jaani-Gemein­de in Haapsalu und den Rendsburger Freund*innen der Estland-Beziehungen.

Der aufgrund seiner Verdienste zum (Bezirks-) Bischof ernannte Tiit Salumäe und seine Ehefrau Lia gehörten ebenso zu der Delegation der Jaani-Gemeinde wie ihre Tochter Maria Strauss, die unermüdlich hin und her übersetzte, auch nahmen teil der junge Pastor Kristo Hüdsi sowie die Kantorin Sirje Kaasik und die Lehrerin und Dom-Chor-Sängerin Signe Saviir.

„Wind of Change“

In genialer Weise verknüpfte die Kirchenmusikerin Renate Kobler ganz zu Beginn des Regionalgottesdienstes in der Büdelsdorfer Auferstehungskirche zum Tag der Deutschen Einheit den Song der Scorpions aus dem Herbst 1989 mit der christlichen Hoffnung: Nach einigen Zeilen aus „Wind of Change“ sang sie zur Orgel das neue Kirchenlied „Meine Zeit steht in Deinen Händen …“ bevor Wind-of-Change wieder erklang. Eine kräftige musikalische Erinnerungsstütze für die sich anschließenden Textbeiträge in dem von Pastorin Christiane Zimmermann-Stock, selber damals in Mecklenburg groß geworden,  gestalteten Gottesdienst. Neben Bischof Tiit Salumäe erzählten auch die Büdelsdorfer Bürgervorsteherin Maike Wilken sowie der damals in Bad Doberan tätige Superintendent i.R. Carl-Christian Schmidt davon, wo und wie sie im Herbst 1989 den 09.November erlebt haben. Diese Erinnerungen und auch die Predigt von Pastorin Zimmermann-Stock nahmen die Anwesenden noch einmal in berührender Weise hinein in diese welt-verändernden Wochen und Tage und auch in das Vertrauen auf die Kraft des Gebets und Gottes Wirken in der Zeit.

Die Gedanken zurück und die Wirkungen bis heute wurden für die Gäste am Nachmittag des 03. Oktober dann auch durch den Bummel über das Fest der Deutschen Einheit in Kiel verstärkt und im Austausch mit den deutschen Gastgebern vertieft.

Am folgenden Tag hatte Bürgermeister Pierre Gilgenast in das Alte Rathaus zu einem Empfang am Vormittag geladen. Er erinnerte an die parallel zur kirchlichen Partnerschaft bestehende kommunale Freundschaft zwischen Haapsalu und Rendsburg. Vonseiten der Gäste verwies Bischof Salumäe auf die für unüberwindbar gehaltene Trennung und auf das Wunder der Veränderung, aus der seitdem freundschaftliche Beziehungen wachsen konnten.

„Suchet der Stadt Bestes“

Die bisher schon miteinander aufgesammelten Impulse und die Erinnerungen an bisherige Erfahrungen und Herausforderungen in der Partnerschaft mit so vielen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen wurden dann am Nachmittag in einer großen Gesprächsrunde miteinander bedacht und vertieft: „Kirche in und für Gesellschaft - was Kirche für eine funktionierende Gesellschaft tun kann“. Pastor Lars Klehn, Personal- und Gemeindeentwicklung im Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde, trug wesentliche Gedanken dazu vor und leitete die Gruppengespräche. Dabei kam es vor allem darauf an, in gemischter Zusammensetzung die jeweils eigenen Erfahrungen miteinander in den Austausch zu bringen und aufeinander zu hören: „Wozu sind wir als Christen-Gemeinde gerufen und beauftragt, im Dialog mit der Bürger-Gemeinde unsere christlich-begründete Haltung und unser Engagement aus Glauben einzubringen?“ Das intensive Zuhören und Sprechen ließ sich nicht einfach protokollieren, bewegte aber spürbar die Teilnehmenden und wird weiter in Kopf und Herzen und dann auch in Handlungen bedacht.

„Glaubensspuren“

Die partnerschaftliche Verbindung zwischen der estnischen und den Rendsburger Kirchengemeinden gründet sich auf den miteinander geteilten Glauben; dieser wurde und wird an den jeweiligen Orten seit Jahrhunderten bezeugt und gelebt. Das führt auch die vor kurzem eröffnete Dauerausstellung in der St. Marien-Kirche vor Augen. Pastor Rainer Karstens erläuterte den Gästen am 5. Oktober den Aufbau und die Inhalte der verschiedenen Stationen und erinnerte damit auch an die gemeinsame Aufgabe, als Christen Glauben, Hoffnung tätige Liebe in der jeweiligen Zeit und je am eigenen Ort zu bezeugen und weiterzugeben.

NordArt - auf Estnisch

Nach so vielen Impulsen - die „Sprache“ der geschichtlichen Entwicklungen, die „Sprache“ von Glauben und theologischen Herausforderungen, die „Sprache“ der Musik und der Lieder - hatten vor allem die estnischen Gäste am Nachmittag dieses Sonnabends dann auch die Gelegenheit, auf der NordArt die „Sprache“ der Kunst zu erfahren: Die estnisch-deutsche Künstlerin Inga Aru führte sie in estnischer Sprache durch Teile der Ausstellung und gab ihnen einen guten Einblick in Ausdrucksformen und Anliegen der Kunstschaffenden.
Da waren es dann die deutschen Teilnehmenden, die zumindest auf der Ebene der gesprochenen Sprache zurückstanden.

Ernte-Dank - auch in der Dimension der ökumenischen Partnerschaft

Am Abreisetag feierten die 6 estnischen Partner*innen gemeinsam mit der in der Christ-Kirche versammelten Gemeinde den Erntedank-Gottes­dienst mit gemeinsamen Abendmahl.

Auch wenn längst nicht alle Worte von Pastorin Ulrike Brand bzw. der vorgetragenen Bibeltexte direkt übersetzt wurden, war es doch eine die Christen aus Haapsalu und Rendsburg verbindende Erfahrung, im miteinander gelebten Gottvertrauen zusammen zu stehen und beauftragt zu sein, den eigenen Glauben fröhlich und beherzt zu bezeugen.
Neben einem Grußwort von Bischof Tiit Salumäe waren es auch die von dem kleinen aber feien Vokalensemble der Gäste vorgetragenen Lieder, die dazu ermutigten, die 30 Jahre währende Verbundenheit weiter mit Begegnungen zu füllen und miteinander weiter zu entwickeln.

In den Rand- und Lückenzeiten des dicht-gepackten Besuchsprogramms kam der persönliche Austausch dann aber nicht zu kurz. Frau und Mann hatte sich manches zu fragen, auszutauschen, zu erzählen oder es ergaben sich einfach bei den Abendeinladungen und Mahlzeiten intensive Gespräche über „Gott und die Welt“ - und auch über ganz Privat-Familiäres.

Perlenhochzeit

In der Auflisten der Hochzeitstage steht zum Dreißigsten: „Perlenhochzeit“! Die drei Rendsburger evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden erinnern zusammen mit den Schwestern und Brüdern im estnischen Haapsalu an dreißig Perlen der Freundschaft und Partnerschaft. Vielleicht glänzen nicht alle einfach so, es gab mühsamere und auch mattere Jahres-Perlen, diese wohl auch geschuldet den je eigenen Herausforderungen und Aufgaben. Aber es gab und gibt die strahlenden Jahres-Perlen, vor allem durch persönliche Begegnungen und Austausche.
Und diese 30 Perlen sind miteinander verbunden durch den gemeinsamen Glauben, dass Gott „unsere Zeit in liebevollen Händen hält“, wie wir die 1989-er Kirchentags-Losung auch begreifen können. Gott traut uns zu, mit diesen Perlen in Händen zusammen beherzt und verbunden im Zeit- und Welt-gestaltendem Mut fröhlich voranzugehen- ermutigt durch Gottes Segen und über Grenzen hinweg verbunden.

Kirche im Norden