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Der Wanderer

  • Witold Jan Chwastek ist unterwegs als "Apostel auf Rädern". - Foto: Tina Timm

Fockbek – Alles an Witold Jan Chwastek spricht mit, wenn er spricht: Lippen formen, Oberkörper beugt sich, Hände rotieren, Augen leuchten. Er spricht übers Campen und seine Hobbys: Schlagzeugspielen, Motorradfahren und Werkeln sowie den Wunsch, Kiten zu lernen. Über Theologie-Professoren, die er in Tübingen noch erleben durfte. Über die Flüchtlingshilfe, die sie 2014 in Schleswig gegründet und mit unzähligen Ehrenamtlichen organisiert haben; „da engagiert sich Kirche diakonisch, gemeinsam mit den Partnern aus Amt und Stadt, das ist für mich ebenso Kirche!“ 

Und sofort ahnt man: Hier sprüht einer, lässt sich leicht begeistern – und muss gut aufpassen, dass er sich dabei nicht zu viel auflädt. 

Der 39-Jährige ist neuer Pastor für Vertretungsdienste im Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde. Am Sonntag, 6. September, um 15 Uhr führt ihn Propst Sönke Funck in der Fockbeker Pauluskirche ein (falls Sie dabei sein möchten, melden Sie sich bitte bis spätestens Freitag, 4. September, unter Telefon 04331-63342). In dieser Gemeinde arbeitet Chwastek seit Anfang des Jahres. "Als Vertretungspastor, so verstehe ich das, bin ich ja vor allem ein Helfer", sagt er: „Ich gestalte in verschiedenen Kirchengemeinden nach Bedarf Gottesdienste, Taufen, Trauungen, Beerdigungen mit. Da, wo ich arbeite, mache ich die Arbeit, so gut ich kann. Aber ich bin ersetzbar, und ich muss nicht um jeden Preis in der ersten Reihe stehen.“ Hätte nicht ein kleines Virus alle Zeitpläne mächtig zerwirbelt, Propst Funck hätte ihn längst im Kirchenkreis eingeführt.

Hinter Witold Jan Chwastek liegen tausend Kilometer, ein Systemwechsel und persönliche Veränderung.

Im März 1981 wird er im südpolnischen Cieszyn geboren. Im selben Jahr verhängt General Jaruzelski das Kriegsrecht über das damalige Ostblock-Land, um in Warschau und vor allem oben in Danzig die antikommunistische ‚Solidarnosc‘-Bewegung zu zerschlagen – doch unten an der Grenze zur damaligen CSSR erlebt Witold „eine schöne Kindheit“ auf dem Bauernhof seiner Eltern. Vertreter der westdeutschen Partnergemeinde, die diese polnische lutherische Region besuchen, teilen Hilfspakete mit Lebkuchen aus und nehmen am Gottesdienst teil. „Da waren mehrere positive Verbindungen zu Deutschland“, sagt Chwastek heute. Als Mitglieder der Evangelischen Kirche A.B. („Augsburgisches Bekenntnis“) zählt seine Familie zur Minderheit im katholischen Polen.

Das evangelische Polen

Ein Jahrzehnt später ist der Ostblock implodiert, schon bald können die grenznahen Cieszyner „mit einem Fuß in drei Ländern stehen“, so Chwastek: Polen, Tschechien, Slowakei. Und die kirchliche Kindheit hinterlässt ihre Spuren: Witolds Bruder lehrt als Dr. theol. und Pastor in Warschau, seine Schwester ist Diakonin – „sie wäre gerne Pastorin, doch die Evangelische Kirche A.B. lässt keine Frauen in dieses Amt“, sagt Chwastek und hebt fast entschuldigend die Schultern. Und er selbst? Zieht zum Theologiestudium nach Warschau, nach Greifswald, nach Tübingen. „Niemand von uns Kindern wollte den heimischen Hof übernehmen, das traf vor allem meinen Vater hart.“ Stattdessen will der junge Witold Luther im Original lesen lernen.

Heute hat er den polnischen wie den deutschen Pass. Seit 2004 organisiert Chwastek immer wieder mal Polen-Reisen für Senioren, „wir sind dann eine reisende Gemeinde, aber nicht zu fromm.“ Er ist ein Wanderer, einen „Vagabunden im positiven Sinn“ nennt er sich selbst. Zehn Jahre lang war er fest in der Kirchengemeinde Haddeby, jetzt möchte er wieder ein Reisender sein, beweglich – „Vertretungspastor, das passt in diese Phase“, sagt Chwastek. „Ich freue mich sehr, jeden Tag etwas Neues zu entdecken und zu erleben und von einem zum anderen Ort zu fahren.“ Er lächelt. „Ein bisschen wie die Apostel der Urgemeinde, nur auf Rädern.“

Ein dunkles Tal

Das Gespräch mit Witold Jan Chwastek findet an einem dieser Sommertage statt, an denen der Himmel so hoch ist und so blau, als könnte er sich nie wieder eintrüben, bewölken, vergrauen, zerreißen und Hunde und Katzen regnen lassen. Und wie Chwastek da so auf den halbschattigen Betonstufen eines Cafés am Eckernförder Strand sitzt, braun gebrannt im blütenweißen Hemd, lebhaft gestikulierend – da lässt es sich kaum glauben, dass derselbe Mann vor nicht langer Zeit aus gesundheitlichen und privaten Gründen durch ein tiefes Tal musste.

Als ein dunkles Tal, sagte der Pastor jüngst in einem Beerdigungsgottesdienst, beschreiben Menschen oft die Zeit, in der sie trauern, krank sind oder Sorgen haben. „Aber auch der Weg durch das dunkle Tal soll gelingen. Denn in diesem Tal ist einer, der mit uns geht, der uns nah ist, so nah wie ein Wanderstab, auf den wir uns stützen. Das bedeutet, dass wir auch in Zeiten der Krankheit und der Trauer gestützt durch die Dunkelheit gehen. Menschen, die uns zur Seite stehen, die uns zuhören, die einfach da sind, können wie ein Wanderstab sein.“

Stärker aus Krise gehen

Er wusste, wovon er sprach. Und wieso, fragt er, sollte ein Pastor nicht auch sogenannte Schwächen haben können? „Warum sollen wir stets die Starken spielen? Ich habe mir in einer Lebenskrise Hilfe geholt von Menschen, die erfahrener sind als ich. Und viele haben Verständnis gezeigt, auch mein Arbeitgeber. Das war sehr tröstlich. Manchmal ist es notwendig, den komplizierteren Weg zu gehen als den scheinbar einfachen.“ Man kann sich vorstellen, dass der 39-Jährige gerade lernt, Krisen in Stärken zu verwandeln.

Im Januar erst – aber vor Corona und damit sicher gefühlt viele Jahre her – haben ihn die Haddebyer in ihrer St. Andreas-Kirche verabschiedet. Dort hatte Chwastek nach seinem Vikariat in Mürwik ein Jahrzehnt lang gearbeitet und gewirkt: erst als „Pastor zur Anstellung“ (PzA), dann fest. Er hat dort Jugendliche konfirmiert, die er Jahre zuvor beim Einschulungsgottesdienst eingesegnet hatte, und sich erfreut an der rasch wachsenden Flüchtlingshilfe. Er hat den großen Garten am Haddebyer Pastorat angelegt, der fehlt ihm schon irgendwie. Und der Schleiblick. Verständlich.

Ein Resthof wäre schön

Nun lebt Witold Chwastek in einer kleinen Wohnung. Doch sobald die Kinder kommen, ist es zu eng. Eine größere Bleibe wäre schön – „nein, kein Pastorat, aber ein Resthof zum Beispiel!“ Dort würde er womöglich das ausleben, was ihm als Beruf ebenfalls durch Kopf und Hand ging: Zimmermann. Denn werkeln, das mag er ebenfalls. Auf die Frage, welches Handwerkszeug er als Pastor benötige, kommt die Antwort prompt: „Ohren. Fühlen und Denken. Und Worte. Denn das ist für mich gut verstandenes Handwerk: den Menschen zuhören, bei und mit ihnen sein, dieses Miteinander vermitteln.“

Beim Aufschreiben der deutschen Worte tue er sich manchmal noch schwer, sagt Chwastek. Wer freilich eine seiner Predigten vor Augen bekommt, merkt rasch, dass diese Selbstkritik auf sehr hohem Niveau daherkommt. Seit 16 Jahren lebt er nun in Deutschland. Zuvor schon auf dem Gymnasium in Cieszyn hatte er sich mit deutscher Grammatik eine präzise Basis gelegt – und dann bei seinem Start in Deutschland kaum Kontakt zu anderen Polen: nicht während seines Freiwilligen Sozialen Jahres in der Altenpflege in Stralsund, nicht während des Studiums in Greifswald und Tübingen. „Ich musste Deutsch sprechen, dadurch habe ich es schnell gelernt.“ Seine Kinder wachsen zweisprachig auf: Mit ihnen spricht er Polnisch, sie antworten auf Deutsch. „Mit meiner Mutter in Cieszyn können sie sich aber auch verständigen.“

Und sein Name? Er hat schon vieles gehört, sagt Witold Jan Chwastek und grinst. Korrekt spreche sich sein Name aber „Chfastek“ aus: „Das CH wie in ‚Bach‘. Das W dahinter wie ein ‚f‘. Und S und T getrennt.“ Nicht ganz einfach für die norddeutsche Zunge. Chwastek lächelt und blickt über den Eckernförder Strand. Natürlich weiß er, dass es wieder regnen wird. Aber heute steht der Himmel hoch und blau.


Die Einführung von Witold Jan Chwastek findet statt am Sonntag, 6. September, um 15 Uhr in der Fockbeker Pauluskirche. Bitte melden Sie sich dazu bis spätestens Freitag, 4. September, unter Telefon 04331-63342 an.

 

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