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Hemmschwellen senken und Betroffene finden

  • Agnieszka Jaworski (Alfa-Mobil), Ana Vogel (Lernbotschafterin) und Verena Hein (MGH) informieren über Kurse für funktionale Analphabeten.
  • Der Stand von Alfa-Mobil und MGH auf dem Schiffsbrückenplatz in Rendsburg.

Rendsburg – Nach knapp vier Stunden kommt eine Frau vorbei, die sich als Betroffene zu erkennen gibt. Vier Stunden lang hat das Team des Alfa-Mobils gemeinsam mit Verena Hein vom Mehrgenerationenhaus Rendsburg (MGH) am Rande des Wochenmarktes über die verschiedenen Hilfsmöglichkeiten informiert, die es für funktionale Analphabeten gibt. Sie haben Flyer verteilt und Fragen beantwortet. Die Hamburgerin Ana Vogel hat als ehemals Betroffene und jetzige Lernbotschafterin erzählt, wie sie als Erwachsene den Weg zum Lesen und Schreiben gefunden hat. Die öffentliche Präsentation des Themas inmitten der belebten Innenstadt soll Hemmschwellen senken, Hilfsangebote anzunehmen.

Die Frau, die jetzt vorbei gekommen ist und sich erste Informationen am Stand abholt, ist Russin. Sie spricht zwar gut Deutsch, kann aber kaum schreiben. Auch für sie ist das Angebot gedacht. Verena Hein erzählt ihr von ihrer Arbeit im MGH (Am Margarethenhof 41, Rendsburg), dessen Träger der Ev.-Luth. Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde ist. Verena Hein will funktionalen Analphabeten Hilfsangebote vermitteln. Neben einer offenen Beratung am Donnerstag (10-12 Uhr) hilft sie unter anderem jeden Dienstag (15-16 Uhr) beim Ausfüllen von Formularen. Und sie ist vernetzt mit Stellen wie der Rendsburger Volkshochschule, die Kurse für Erwachsene anbieten. Kurse, von denen sie nun der Frau erzählt, die sich traut nach Hilfe zu fragen.

Wie groß der Schritt ist, welche Überwindung er kostet, davon kann Ana Vogel berichten. Vor 15 Jahren hörte sie in der Werbung vom Alfa-Telefon, bei dem Betroffene kostenlos und anonym anrufen können und sich beraten lassen. Es dauerte ein halbes Jahr, bis sie die Nummer wählte: 0800 53 33 44 55. Danach war der Damm gebrochen. Ana Vogel besuchte die örtliche Volkshochschule in Hamburg-Billstedt und lernte als Erwachsene noch einmal Lesen und Schreiben.

„Bei mir war in der Schule früh zu erkennen, dass ich gefördert werden musste. Das wurde leider nicht gemacht“, erinnert sie sich. Die Lehrer schickten sie dann auf die Sonderschule. Lesen und Schreiben lernte sie nicht richtig, nicht einmal den Namen der eigenen Kinder habe sie mit Mitte Dreißig lesen und schreiben können. Durch die Kurse der VHS änderte sich das. „Jetzt bin ich seit 15 Jahren dabei und lerne immer noch dazu“, sagt sie. Gemeinsam mit anderen Betroffenen hat sie sich in einer Selbsthilfegruppe in Hamburg zusammen gefunden. Wenn das Alfa-Mobil eine Lernbotschafterin braucht, wie zum Beispiel bei dem Besuch auf dem Rendsburger Schiffbrückenplatz ist sie gerne mit dabei.

„Wir vom Alfa-Mobil sind bundesweit unterwegs“, erzählt die Projektmitarbeiterin Agnieszka Jaworski. „Wir arbeiten seit 2015 und kommen auf Einladung von lokalen Trägern.“ Welchen Erfolg die Informationsarbeit hat, lasse sich schwer messen. Wenn wie beispielsweise kürzlich in Bochum sich gleich drei Betroffene bei Kursen anmelden, sei das schön. Ansonsten gehe es aber vor allem darum, über das Problem des funktionalen Analphabetismus bei Erwachsenen aufmerksam zu machen.

Schließlich können nach Ergebnissen von Studien mehr als sieben Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben. Runtergerechnet auf Rendsburg bedeutet das, dass es allein in der Stadt etwa 2500 Betroffene gibt. Träger des Alfa-Mobils ist der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Der Verein wird unter anderem vom Bundesbildungsministerium unterstützt. Das MGH Rendsburg seinerseits wird unter anderem gefördert vom Bundesfamilienministerium. 

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