Rendsburg – Wie können wir gut miteinander auskommen? Wie können wir Krieg vermeiden? Um diese Fragen ging es im Impulsvortrag „Gesellschaft und Kirche in unübersichtlichen Zeiten“ von Pastor Dr. Sönke Lorberg-Fehring, Referent für den Christlich-Islamischen Dialog im Ökumenewerk der Nordkirche. Eingeladen hatte ihn der Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde als Gastredner zu seinem Jahresempfang am vergangenen Montag. Rund 120 Menschen aus dem Haupt- und Ehrenamt in Kirche, Politik und Gesellschaft waren in der Christkirche in Rendsburg zu Gast. Anschließend blieb Zeit für Austausch bei Häppchen und Getränken.
In seinem Vortrag beleuchtete Lorberg-Fehring die aktuellen Krisen in der Welt aus einem Blick, der über den eigenen Horizont hinausging: „Ich habe schnell Kontakt zu meinen muslimischen Kolleg*innen aufgenommen und dabei eine Dimension von Angst gespürt, die in meiner christlich-weißen Mehrheitsgesellschaft so nicht spürbar war. Unter uns leben bereits sehr viele Menschen, die wissen, was es bedeutet, wenn ein Land zusammenbricht und nach einem Krieg keine neue Stabilität kommt, sondern jahrzehntelanges Chaos. Kriege zerstören nicht nur militärische Einrichtungen und treffen Menschen, die sie für sinnvoll und notwendig halten. Sie treffen auch Menschen, die vor Krieg fliehen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als selbst in Frieden zu leben und ihre Kinder in Frieden großziehen zu können. Ich möchte mit Ihnen heute darüber nachdenken, wie wir im Großen Kriege vermeiden und im Kleinen gut miteinander auskommen können. Sie können sich vorstellen: Ich werde Ihnen keine abschließenden Lösungen präsentieren.“
Unterschiedlichkeit als Bereicherung
Lorberg-Fehring nahm die Gäste mit auf eine kleine Zeitreise, erinnerte an die Versprechen, die Mobiltelefone und später Smartphones machten: „Jetzt kommt eine neue große Kommunikationsfreiheit, Kommunikation wird zum Kinderspiel!“ Mit Blick auf die tatsächliche Entwicklung aber stellte er fest: „Auf der einen Seite wird unsere Welt im Großen und unsere Gesellschaft im Kleinen immer diverser, multipler und nonbinärer. Anderseits ist für manche Menschen schon eine gegenderte oder ungegenderte Endung ein persönlicher Affront. Während auf der einen Seite die Vorzüge oder die Unabwendbarkeit von Veränderungen betont wird, sucht die andere Seite Schutz in Abgrenzung und Betonung des Eigenen. Ich sehe unsere Aufgabe als religiöse Gemeinschaften in der Schaffung eines dritten Raumes, in dem Unterschiede ausgehalten werden können, in dem produktive Debatten stattfinden, in dem Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen sich treffen, freundlich grüßen und einander nicht nur aushalten, sondern sich in ihrer Unterschiedlichkeit als Bereicherung erleben.“
Die Kraft dafür werde allerdings zunehmen begrenzt durch eine abnehmende Bedeutung von Religion in Europa: „Die Anzahl derer, die sich als religiös verstehen, sinkt von Generation zu Generation. Die beiden Ausnahmen von dieser Regel sind die russisch-orthodoxe Kirche und Muslime in Migrationskontexten. Was machen die anders?“ Diese Fragen beantwortete er mit der jeweiligen Ausrichtung im Glauben. Die russisch-orthodoxe Kirche bediene sich einer autoritären Auslegung des Glaubens, während sich Muslime in Migrationskontexten auf die identitäre Funktion von Religion konzentrieren. Die autoritäre Perspektive finde sich zunehmend auch in der politischen Realität – sei es bei der AfD oder dem Milliardär Peter Thiel, der die Kampagne von Donald Trump mitfinanzierte: „Diese gefährliche Zusammenballung verstärkt meine Sorge, dass sich hier gerade eine große theologische – und politische – Umwälzung anbahnt.“
Es sind alle willkommen – es kommen aber nicht alle
Die Nordkirche habe sich bewusst gegen die autoritäre und identitäre Versuchung von Religion entschieden, sagte Lorberg-Fehring: „In den sonntäglichen Gottesdiensten, Chor- und Kantoreitreffen und der alltäglichen Gemeindearbeit sollte nicht länger eine weiße, gutbetuchte und bürgerliche Mittelschicht unter sich bleiben. Es ist vielmehr unser Ziel, dass wir innerhalb der Kirchenmauern ein Abbild der Gesellschaft außerhalb der Kirchenmauern werden.“ Dafür brauche es mehr Orte, an denen Menschen sich treffen, austauschen, wahrnehmen und miteinander friedlich aushandeln, wie sie leben wollen. Denn: „In unseren Kirchen sind alle willkommen. Das Doofe ist nur - es kommen nicht alle. Hier müssen wir uns die Frage stellen: Welche Mauern richten wir auf, die dazu führen, dass wir unter uns bleiben - bewusst und unbewusst?“
Mit Blick auf die Kontroverse, die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner eröffnet hatte, sagte Lorberg-Fehring: „Wie politisch soll Kirche sein? Kirche hat mit dem Leben von Menschen zu tun hat - und das ist nun mal politisch. Wofür ich ihr dankbar bin, ist der Hinweis, dass der Beitrag von Kirche ein besonderer sein sollte. Was wir als Kirche zu sagen haben, kann so keine andere Organisation sagen. Was kann unser speziell kirchlicher Beitrag zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen sein? Das könnte z.B. ein Hinweis darauf sein, dass die letzten Worte Jesu seinem Mitgekreuzigten galten und ihn trösten sollten. Für mich ergibt sich daraus die Aufgabe, weniger auf das Eigene zu schauen und mehr auf das, was anderen hilft. Darin sehe ich die neue, starke politische Aufgabe der Kirche.“
Menschen verbinden, statt zu spalten
Er schloss seine Ausführungen mit einem Appell: „Was wäre, wenn wir unseren engen Wohlfühlbereich öffnen und das Gespräch mit Menschen suchen würden, die nicht unserer Meinung sind. Nicht, um sie zu überzeugen, so zu werden wie wir, sondern um einander besser zu verstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass in dieser Hinwendung zu anderen eine revolutionäre Kraft liegt. Sie lässt uns als Kirche vielleicht nicht wieder wachsen, aber sie macht uns zu einer starken, weil offenen Gemeinschaft. Zu einer Gemeinschaft, die Dialoge ermöglicht und Differenzen aushält. Dadurch könnte Kommunikation wieder ihren ersten und wichtigsten Auftrag erfüllen: Menschen zu verbinden, statt zu spalten.“