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Von Kirchenkreis zu Kirchenkreis

Die Idee

Am Anfang stand die Idee eines einzelnen Pastors: Witold Chwastek wollte helfen. Nicht irgendwie und irgendwo, sondern ganz konkret da, wo er herkommt. Der gebürtige Pole pflegt intensive Kontakte zur evangelischen Kirche in Polen und als der Krieg in der Ukraine begann war schnell klar: Dort, in Polen, werden viele Flüchtlinge und Kriegsvertriebene ankommen. 

Chwasteks Idee: Nach Absprache mit dem Regionalbischof der polnischen Diözese Teschen seinen VW Bus mit dort benötigten Hilfsgütern vollpacken und losfahren. Chwastek ist Vertretungspastor im Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde und als Pastor braucht er für die Umsetzung seiner Idee eine Dienstbefreiung vom vorgesetzten Propst, in seinem Fall Sönke Funck. So fragte Chwastek Anfang März nach einer Dienstbefreiung und seine Idee fand so viel Anklang, dass schnell ein größeres Projekt daraus wurde: 12 Tage nach der Anfrage fuhren statt einem gleich drei Busse nach Polen, bis obenhin voll mit Hygieneartikeln, medizinischen Hilfsgütern, Technik. 

Die Aktion vor Ort

Zwischen Idee und Abfahrt lag eine schnelle Aktion, die von Mitarbeiter*innen im Kirchenkreis, im Zentrum für Kirchliche Dienste (ZeKiD) und den Kirchengemeinden ermöglicht wurde. Ein großer Raum im Keller des ZeKiD wurde leergeräumt, sodass dort Spenden aus dem Raum Rendsburg angenommen werden konnten. Die Kirchengemeinde Gettorf schloss sich der Aktion an und sammelte ihrerseits Spenden. Ein dritter Annahmepunkt war das Pastorat von Propst Sönke Funck selbst. Nachdem Chwastek eine konkrete Anforderungsliste aus Polen erhielt, wurde ein groß angelegter Aufruf gestartet, um im Kirchenkreis gezielt die benötigten Hilfsgüter zu sammeln. Die Spenden von allen drei Orten wurden im ZeKiD von vielen fleißigen Händen gesammelt, sortiert, verpackt und die Kartons beschriftet. Anschließend wurden zwei der drei Busse beladen. 

Die Spender*innen

Dem Aufruf folgten viele Menschen: Privatpersonen, Schülerinnen, Geschäftsleute, Apotheker*innen und Ärzt*innen. Zum Beispiel Lina, Annika und Charlotte von der Helene-Lange-Schule in Rendsburg: Die Mädchen setzten sich zusammen, bastelten und verkauften die gebastelten Dinge in der Nachbarschaft. Mit den so verdienten 130 Euro und der Liste des Kirchenkreises gingen die drei Mädchen los und kauften zwei Kartons mit Hygieneartikeln, die am Ende in der Gemeinde Dziegielów landeten. Oder Silke Meyer: Die Angestellte im Kirchenkreisarchiv und ihr Mann sammelten in Eigenregie in Büdelsdorf in Apotheken, Drogeriemärkten und anderen Anlaufstellen Hilfsgüter (Bild rechts), die sie anschließend im ZeKiD ablieferten. Bemerkenswert auch der Chor „Gospelling Sounds“, der auf dem Marktplatz in Hanerau-Hademarschen ein Friedenskonzert gab und von den dort gesammelten Spenden 5.000 Euro an die Kirchenkreis-Aktion weiterleitete. 

Größere Einzelspenden kamen unter anderem von der Mobilcom-Debitel (mehrere Kartons Mund-Nasen-Bedeckung), dem Haus Jonte (Intensivpflege Wohngemeinschaft Rendsburg, Rollatoren, Rollstühle), das Elektrogeschäft Jöhnk aus Eckernförde spendete Powerbanks zum mobilen Laden von Handys, die Big Bird Farm aus Fahrdorf lieferte tütenweise Batterien, Taschenlampen, Rasierapparate und Powerbanks in Rendsburg ab. Mehrere Apotheken und Arztpraxen spendeten Verbandsmaterialien, Artikel zur Wundversorgung und kartonweise Infusionslösung. Neben der Kirchengemeinde Gettorf, die nicht nur Spenden sammelte, sondern auch mit einem eigenen Bus und zwei Fahrern mit nach Polen fuhr, unterstützten die Kirchengemeinden Osterrönfeld und Nortorf mit je 500 Euro, sowie die Jugenddiakonin der Kirchengemeinden Hohn und Hamdorf mit Spendensammeln die Aktion. Auch die Nordkirche unterstützte den Kirchenkreis: Zugunsten der Aktion wurden hölzerne Friedenstauben verkauft, der Erlös nach Abzug der Herstellungskosten als Spende überwiesen.

Einen Teil der Geldspenden setzte Pastor Chwastek mit zwei weiteren Freiwilligen in Kiel für einen Großeinkauf bei Citti ein. Mit der freundlichen Unterstützung der Mitarbeitenden vor Ort wurden schnell knapp 3.000 Euro in weitere Hilfsgüter umgesetzt und ein Bus beladen. 

Die Tour

Am 15. März um 7 Uhr wurde es dann für alle Fahrer Ernst: Treffen am ZeKiD, Reisesegen von Propst Sönke Funck (rechts) und Abfahrt. Neben Witold Chwastek selbst (Mitte) fuhren Leif Jensen (2.v.r.) sowie die beiden Studenten Jan und Leon mit. Aus Gettorf startete der Bus der Pfadfinder, am Steuer Pastor Frank Boysen und Bernhard..

13 Stunden später kamen die drei Busse wohlbehalten bei Chwasteks Mutter an. Sie beherbergte die Freiwilligen und sorgte dafür, dass niemand hungrig zu Bett gehen musste. Alle Beteiligten hoben auch im Nachgang noch die große Gastfreundschaft und das Engagement der Familie Chwastek hervor (siehe auch Kurzberichten von Fahrern weiter unten).

Der arbeitsreiche Mittwoch führte die Helfer zunächst nach Goleszow. Dort wurden alle Spenden ausgeladen und anschließend für die weitere Verteilung im Kirchenkreis Cieszyn sortiert, koordiniert von Karina Chwastek. In vier weitere Gemeinden (Cisownica, Dziegielow, Skoczow und Drogomysl) wurden anschließend die vorsortierten Spenden gefahren, ein Teil wurde einige Tage später von anderen Helfenden weiter in die Ukraine gefahren. „Überall waren die Ortspastoren persönlich bei der Übergabe dabei, wir sind auf sehr viel Wertschätzung und Dankbarkeit für die Aktion gestoßen“, berichtete Witold Chwastek. 

Am Nachmittag zeigte Bischof Korczago ein ehemaliges Diakonissenhaus, das für Schutzsuchende renoviert werden soll. Ungefähr 30 Menschen könnten dort nach den Baumassnahmen untergebracht werden. Vor allem eine neue Heizung und der Anstrich der Wände stehen dabei im  Vordergrund. Am frühen Donnerstagmorgen startete der letzte Bus der Gruppe nach Deutschland. 

Gesamtkilometerzahl des Hilfsprojektes: 2200 km. 

Fünf Tage später holt der evangelische Militärbischof einen Teil der Spenden (vor allem zur Kranken- und Wundversorgung) in Goleszow ab, diese werden in den folgenden Tagen mit einem humanitären Hilfskonvoi in die Ukraine gebracht.

Reiseberichte

Leif Jensen: 
Wie viele andere Menschen wollte ich gerne helfen, aber ich wußte nicht wie. Sicherlich kann man immer Geld spenden, aber das ist abstrakt, man weiß nicht, wie es eingesetzt wird. Meine Frau ist Leiterin im ZeKiD und berichtete von der Aktion. Ich  war sofort begeistert:  Eine „Partnergemeinde“ in Polen zu haben, die genau sagen kann, was gebraucht wird und dann wirklich die Dinge zu spenden, die auch jetzt gerade helfen! Eine super Idee. Ich wollte gerne selbst was machen, weil ich wegen eines Jobwechsels noch Urlaub und deshalb Zeit hatte. So konnte ich nicht nur etwas Materielles spenden, sondern auch meine Zeit und „Arbeitsleistung“ sinnvoll einbringen.
Begeistert war ich auch von der Initiative und dem großen Engagement von Witold, sowie der Tatsache, dass der Kirchenkreis in Person von Propst Funck dies gleich aufgriff und unterstützte.
Unfassbar, in welcher kurzen Zeit da gemeinschaftlich etwas auf die Beine gestellt wurde! Statt lange zu planen und zu diskutieren, wie man was am besten machen kann und was möglich ist, wurde hier angepackt und einfach gemacht. Und das nicht nur planlos, sondern gut durchdacht und kommuniziert.
Als ich dann gesehen habe, wie groß die Spendenbereitschaft ist, und was alles an Spenden zusammenkam, war ich wirklich positiv überrascht. Die Pakete zu sortieren und zu sehen, welche Mengen gespendet wurden, mit welcher Mühe und Sorgfalt sie verpackt waren, hat mich berührt. Teilweise haben wir Bilder in den Paketen gefunden, die zeigen, dass die Menschen wirklich mit den Ukrainern mitfühlen.
Im ZekiD war eine tolle Atmosphäre, da hat jede*r mit angepackt, die*der Zeit hatte auch wenn er*sie normalerweise ganz andere Aufgaben hat. Beeindruckend auch der Einsatz von Jan und Leon, die als junge Menschen ihre Zeit genutzt haben mit uns zu fahren, auch wenn Leon noch eine Hausarbeit im Nacken hatte, die er noch unbedingt pünktlich fertigstellen musste. Seine Bemerkung: „Ich bin ein Student und habe nicht viel Geld, das ich Spenden kann. Aber umso mehr freue ich mich, dass ich mich auf diesem Wege einbringen kann“ hat mich echt berührt. Es gibt sicherlich viele Menschen, die in dem Alter etwas anderes im Kopf haben und nicht dieses Engagement zeigen. So wie Leon ging es uns aber wahrscheinlich allen, dass wir Teil dieser tollen Aktion sein durften und dafür bin ich ganz aufrichtig dankbar. Es hat mich wirklich mit Freude erfüllt. Es war bereichernd, Polen auf eine ganz andere Art und Weise kennenzulernen und viele herzliche, engagierte Menschen zu treffen.
Die Unterkunft bei der Mutter von Witold war super und ich wurde selten so herzlich empfangen und köstlich verpflegt. Vor Ort haben wir in kurzer Zeit viele Menschen in den Gemeinden getroffen, auf die wir die Spenden verteilt haben. Diese Begegnungen waren leider immer sehr kurz bis auf einige relativ kurze Gespräche mit den Pastoren (die überraschenderweise alle recht gut deutsch sprechen konnten).  Alle haben uns aber erfreut empfangen und mit einer großen Leidenschaft ihre Kirche gezeigt.
Die Kirche kann wirklich stolz sein, was sie da in kurzer Zeit auf die Beine gestellt hat.

Jan Kammer (links im Bild, daneben Leon, rechts der Bischof):
Meine Mutter ist Jugenddiakonin im ZeKiD, sie berichtete von der Aktion und weil ich und mein Studienfreund Leon sowieso für eine Woche in die Heimat reisen wollten, haben wir spontan entschieden, uns als Fahrer zur Verfügung zu stellen. Auf die entspannte Hinreise folgte ein sehr gastfreundlicher und herzlicher Empfang mit enorm leckerem Essen. 
Als wir dann die Autos entladen haben, waren wir so überrascht, wir hätten nie gedacht, dass so viel in diese Busse rein passen würde - beim packen waren wir nicht dabei. In den Gemeinden konnten wir sehen, wie die Leute da leben, der Bischof hat uns das Diakonissenhaus gezeigt, war sehr nett und hat enorm gut deutsch gesprochen! 
Die Hilfsbereitschaft und das Engagement in Polen ist enorm groß, man merkt aber auch, dass der Krieg viel näher und präsenter ist, als bei uns in Deutschland. Wir waren das erste Mal in Polen und haben viel über das Land und seine Geschichte gelernt. Gefühlt haben wir eine ganze Woche an Erlebnissen gehabt, obwohl wir ja eigentlich nur einen Tag dort waren.
Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, für uns bleibt das gute Gefühl, vor Ort geholfen zu haben und nicht nur still daheim gesessen zu haben, nichts tun zu können gegen die Gewalt des Krieges. 
Besonderer Dank gilt der Familie Chwastek, die in Deutschland und Polen dafür gesorgt hat, diese Aktion möglich zu machen.

Witold Chwastek: Fazit

Zuerst möchte ich die sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit mit dem Stab des Kirchenkreises betonen. Insbesondere zählen dazu Susanne van den Bergh, Karen Jensen, Sönke Funck und Walter Wiegand. Darüberhinaus ist der persönliche Einsatz der Busfahrer und Helfer zu betonen, Leif, Frank, Bernhard, Jan und Leon. Sie haben ihre Zeit und Kraft zur Verfügung gestellt, damit vielen geholfen werden konnte. Ohne die Unterstützung wäre die Hilfsaktion in diesem Umfang nicht möglich gewesen. 

Eine große Erleichterung der Arbeit war die bedarfsorientierte Erstellung der Liste mit den Sachspenden, damit nichts unnötig nach Polen gebracht wird. Durch den offiziellen Aufruf des Kirchenkreises nahm die Hilfsaktion an Fahrt auf und trotz der Kürze der Zeit, spendeten viele Menschen Sachen und Geld. Der gezielter Umgang mit sozialen Medien stößt also auf gute Resonanz! 

Viele Menschen wollen angesichts des Krieges in der Ukraine helfen, sind schockiert, aber auch hilflos angesichts der Bilder, die Deutschland täglich über die Medien erreichen. Die Bevölkerung sucht gezielt nach Möglichkeiten, aktiv zu helfen. Das führte mit dazu, dass das Hilfsprojekt ein solcher Erfolg wurde. 
Die Spender und Spenderinnen sahen in dem Hilfsprojekt einen sinnvollen Beitrag zur Linderung der Not der Kriegsflüchtlinge. Manche AnruferInnen haben direkt gesagt, dass sie etwas sinnvolles machen möchten, weil sie sich hilflos fühlten, doch sie wussten nicht, was sie machen konnten. Als sie von dem Hilfsprojekt gehört haben, entschieden sie sich zu spenden, weil es sich um ein konkretes Ziel mit konkreten Personen an konkreten Orten handelte. Darüberhinaus war die Nachverfolgung der Wege der Sachspenden nachvollziehbar und belegbar, was zu einer weiteren Steigerung der Transparenz beitrug. Noch Tage nach der Fahrt meldeten sich weiterhin Personen bei mir, die helfen wollten. 

Ausblick: Weitere Sachspendentransporte sollten wenn überhaupt nur in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen auf der polnischen bzw. ukrainischen Seite laufen. Eine gut organisierte, gut besprochene und gut durchgeführte Hilfsaktion kann die Partnerorganisationen vor Ort unterstützen, ist allerdings mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Sollte ein weiterer Transport in der Zukunft organisiert werden (weil die Unterbringung und Versorgung von Millionen von Kriegsvertriebenen über Monate, wenn nicht Jahre dauern wird) ist es auf jeden Fall ratsam mit einem LKW in den Osten zu fahren, um die Manpower und die hohen Kosten für die Betriebsstoffe im Rahmen zu halten. Zudem sind die polnischen Straßen durch den Verkehr sehr beansprucht und jeder Wagen weniger auf der Straße macht die Fahrt entspannter und sicherer. 

Aus Sicht der polnischen PartnerInnen in den evangelischen Gemeinden wird es in der nächsten Zeit vor allem auf Geldspenden ankommen. Zum einen, weil die Verwaltung von Sachspenden ehrenamtliche und hauptamtliche Kräfte bindet. Zum anderen hat sich gezeigt, dass es zu keiner Knappheit der Waren in den polnischen Geschäften kommt. Geldspenden können noch gezielter und bedarfsorientierter eingesetzt werden. Dass heisst, dass es in der Zukunft auf jeden Fall auf Geldspenden ankommen wird. Nichtsdestotrotz war der Einblick in die Arbeit der polnischen Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort sehr hilfreich. 

Es tat gut, ein Teil vom Ganzen in der Solidarität mit den Geflüchteten zu sein und zu sehen, wieviele Menschen mit Hilfsgütern nach Polen und weiter in die Ukraine fahren, um zu helfen und die Not zu lindern. Doch wir werden einen sehr langen Atem brauchen, um mit der Krise fertig zu werden. Wir werden noch lange damit beschäftigt sein, die Geflüchteten in Europa zu unterstützen. 

Wir werden neue Ideen für die Hilfe entwickeln müssen, weil die Lage dynamisch ist. Wir werden merken, dass Menschen in weiten Teilen von Europa unsere Solidarität brauchen. Wir werden in der Lage sein, über Grenzen hinaus mit Partnerorganisationen und Kirchen im Osten von Europa zu kooperieren. Wir werden merken, wie sich unser Bild von Europa ändern wird, wenn es noch nicht geschehen ist. 

Am Tag der Abfahrt nach Polen hörten wir von Propst Funck die Tageslosung und die markanten Worte von Johann Albrecht Bengel „Gott hilft uns nicht immer am Leiden vorbei, aber er hilft uns hindurch“. 

Als wir zurück fuhren, begleiteten uns die Tageslosungsworte von Erdmuth Dorothea von Zinzendorf „Wenn du, Gott, uns etwas auferlegst, gibst du auch Kraft zum Tragen, und was du zuzumuten pflegst, das ist getrost zu wagen“.

Kirche im Norden